Einmal im Jahr führen wir unsere Botanik-Exkursion durch. Die beste Zeit dafür ist natürlich das Frühjahr, wenn alles grünt und sprießt.
Wie läuft eine Botanik-Exkursion ab? Wie kann man sich das vorstellen?
Es hat ein wenig was von: „Die Glucke führt ihr Völkchen aus.“ So wie die Glucke ihr Revier kennt, in dem sie ihre Küken herumführt, kennt auch Werner Schnapp die Landschaft, in der er uns die Pflanzen nahebringen will. So wie eine Schar Küken hierhin und dorthin rennt, sich für alles interessiert, bloß nicht fürs brave Folgen, zum Schluss bekommt aber doch ein jedes sein reichliches Futter, so ähnlich war es auch bei uns.
Anders als in Hühnerfamilien sind bei uns auch Gäste herzlich willkommen. So gesellte sich Helga mit zu uns. Wir sammelten uns auf dem Vorplatz der Seebrücke in Koserow. Da dauerte es gar nicht lange, schon gerieten wir auf Abwege, um in unserem Bild zu bleiben: Ein Vogel zog unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein Karmingimpel! Dieser allerletzte Ankömmling (sie überwintern in Indien, unsere Region gehört zu ihrem westlichsten Verbreitungsgebiet) war für uns alle eine Überraschung. Auch Bernd, unser Vogel-Spezi, war begeistert. Der Karmingimpel zeigte sich fotogen in einer lichten Weide. Natürlich waren wir sofort im Ornithologen-Modus. Aber Werner, der dann auch dazu kam, zeichnete sich nicht nur durch eine exzellente Fachkenntnis in der Botanik, sondern auch durch eine Engelsgeduld mit uns aus.
Werner hatte uns etwas mitgebracht. Und schon folgten wir aufmerksam seinen Ausführungen. Herbstzeitlose, Bärlauch und Maiglöckchen: Nur den Bärlauch darf man genießen, sie alle enthalten aber Flavonoide, Farb-gebende Stoffe, die für die menschliche Gesundheit folgenreich sein können. Die Dosis macht es. Wie alle Giftpflanzen können auch Maiglöckchen und Herbstzeitlose zur Herstellung von Medikamenten dienen, bei unsachgemäßem Gebrauch können sie tödlich giftig sein.
Dann ging es auf dem Wanderweg gen Streckelsberg. Das Bild von Glucke und Küken ließ sich nicht verleugnen: Immer wieder fand Werner neue Pflanzen, die er uns vorstellte, oft mit ihrem medizinischen Nutzen. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus, sammelten Eindrücke und Wissen: Wie kann man den Wiesenkerbel vom hochgiftigen Gefleckten Schierling unterscheiden? Berg- und Spitzahorn gleich nebeneinander, wo sind die Unterschiede? Und wie kommt es, dass der Löwenzahn dort am Wegrand so in die Höhe wächst und der ungeliebte Löwenzahn auf der Wiese im Garten sich flach auf das Gras duckt? Werner hatte unzählige Antworten parat.
Und doch ließ sich unsere Schar zwischendurch reichlich von den Pflanzen ablenken: Valentin und Johanna, unsere jüngsten Teilnehmer zeigten uns die Fuchskinder, die sie dort bei ihren täglichen Wanderungen immer wieder beobachten. Auf der Ostsee zeigten sich zwei Trauerenten und aus dem Wald rief neben der Dauerbeschallung von Amsel, Drossel, Fink und Zaunkönig auch ein Pirol. Damit es spannend bleibt, meldete sich auch ein Zwergschnäpper, „Goldstaub“ laut der Aussage von Bernd.
Johanna fand einen hübschen, pastellgrünen Schmetterling, der sie und uns dann lange begleitete.
Das Salomonssiegel, die Zweiblättrige Schattenblume, Mispel und Holunder holten uns wieder auf den Boden der Botanik herab. Die Pflanzenwelt am Streckelberg hat viel zu bieten.
Zwei weitere Zwergschnäpper lenkten unsere Aufmerksamkeit wiederum in die Höhen der Bäume. Aber Werner als geübter Exkursionsleiter hatte noch einen Trumpf in der Hand: Die Vierblättrige Einbeere, giftig und in ihrem Erscheinungsbild sehr beeindruckend. Dass sich einzelne fünfblättrige Exemplare auf der Fläche befanden, störte die Optik nicht, erhöhte aber unsere Freude am Entdecken.
Valentin und Johanna zeigten uns dann noch eine besondere Buche am Weg, die auf den ersten Blick wie eine Zebrabuche aussah. Die Rinde war an einer Seite quer gewellt, was interessante Lichteffekte hervorrief. Dass Frostschäden diese Wellen verursacht, war dann eine sehr prosaische Erklärung.
Es ist ja nun mal so, dass unsere NABU-Gruppe vor allem ornithologisch geprägt ist. Das heißt aber nicht, dass die Welt der Pflanzen weniger spannend ist. Sie ist auch nicht weniger kurzweilig. Nur fliegen Pflanzen nicht wie die Vögel, auch singen sie nicht und rufen damit unsere Aufmerksamkeit auf sich. Spannend sind Pflanzen trotzdem und es ist nicht nur gut, sondern erstaunlich kurzweilig, auf diesem Gebiet etwas dazuzulernen.
Am Ende unserer Exkursion waren wir gesättigt mit Eindrücken, mit neu Gelerntem, mit der Freude auf weitere Entdeckungen. Reichliche Kost für eine muntere Schar!
Werner hat seine Sache wirklich gut gemacht. Mit einem herzlichen Dank an Werner konnten wir alle wieder aus unserer Rolle schlüpfen. Unsere Schar löste sich nach und nach auf. Und wohin geht es im nächsten Jahr?