Gänsezählung auf Usedom

ein Beitrag zum Gänsemonitoring in Deutschland

Graugans, Copyright: Kathy Büscher, NABU Rinteln
Graugans, Copyright: Kathy Büscher, NABU Rinteln

Wie sich die Bilder gleichen! Wieder grau, wieder trist, wieder Nebel- zumindest wenn man dem vorabendlichen Wetterbericht Glauben schenkte. Eigentlich ein Couchtag.

 

Aber es war der zweite Zähltermin der Saison des deutschlandweiten Gänsezensus. Also raus- der oder dem Morgen graute, mir auch. Aber der Wetterbericht behielt nicht recht. Es wurde zusehends freundlicher und auch deutlich heller, zeitweise kam sogar kurz mal die Sonne raus. Und die Sicht wurde zumindest so passabel, dass die Aufgabe lösbar war. Dazu kein Regen und wenig Wind, das geht im November oft auch anders.

 

Insgesamt waren wir mit der Usedomer NABU-Regionalgruppe an diesem Wochenende in vier Schwerpunktgebieten der Gänserast im Einsatz: Gnitz, Wolgaster Ort, nördlicher Peenestrom (Wolfgang Nehls, Kathrin Räsch), nördliches Festland am Peenestrom und mittlerer Peenestrom (Harald Jürgens), Usedomer Winkel (Ralf Wehner, Cornelius Friedrich), Polder im nördlichen Peenetal (Olaf Wenzel), Thurbruch und südliches Achterwasser (Bernd Schirmeister).

Start kurz nach Sonnenaufgang
Start kurz nach Sonnenaufgang

Meine Zählstrecke begann in Kölpinsee und erstreckte sich über Pudagla, Neppermin, Balm, Dewichow bis in den Lieper Winkel. Nach mehreren Einflugwellen nördlicher Gänse (Bläss-, Saat- und Weißwangengänse) im Oktober hatte es auch aktuell Tag und Nacht hör- und sichtbaren Zuzug von der Ostsee her ins Binnenland gegeben. So war die Erwartungshaltung entsprechend groß.

 

Es gibt die oben genannten traditionellen Rastgebiete auf der Insel und auf dem inselnahen Festland, aber das konkrete Rastverhalten ist von einer Reihe Faktoren abhängig. Dazu gehören Nahrungsflächen wie Maisstoppeläcker, abgeerntete Zuckerrübenschläge, die mit ihren Ernterückständen energiereiche Nahrung bereithalten. Aber auch Grünland spielt im Spätherbst wieder eine zunehmende Rolle, z. T. auch Rapsäcker.

Manchmal ist die Bearbeitungsgeschwindigkeit in der Landwirtschaft jedoch so groß, dass die Gänse gar nicht zum Fressen auf diesen Flächen kommen, weil schon wieder umgebrochen und neu angesät wird. Dadurch sind die Trupps gezwungen, die Einstandsgebiete immer wieder zu wechseln.

Bläss-, Waldsaat- und Weißwangengänse im Lieper Winkel auf Raps
Bläss-, Waldsaat- und Weißwangengänse im Lieper Winkel auf Raps

Weiterhin gehören ausreichend große und störungssichere Schlafplätze auf Gewässern zum Habitatinventar. Das können Binnenseen, aber ebenso geschützte Buchten am Achterwasser oder Peenestrom sein. Diese Gewässer werden oft auch während des Tages regelmäßig zur Mittagsrast aufgesucht. Die Gänse baden dann, ruhen und schlafen einige Stunden, bis es nochmal raus auf die Nahrungsflächen geht. Solche Schlafplätze sind z. B. der Kachliner See, der Gothensee und die Polder im Peenetal.

 

Den ersten größeren gemischten Trupp gab es heute gleich bei Kölpinsee am Achterwasser, der v. a. aus Blässgänsen bestand. Um Pudagla und Neppermin war bis auf zwei größere Grauganstrupps nichts zu holen. Dafür waren die bisher kaum genutzten Wiesen bei Dewichow gut besucht, über 1500 Gänse, davon gut 1000 Blässgänse. Zwischen den Graugänsen befand sich eine Graugans mit einem finnischen Farbring, die am nordöstlichen Ende der Ostsee, am Bottnischen Meerbusen beringt wurde.

Blässgans / copyright:  Wilhelm Plötz
Blässgans / copyright: Wilhelm Plötz

Der Lieper Winkel war ebenfalls weitgehend gänseleer. Lag es an der Schallkanone, die ein „Landwirt“ auf einem Acker aufgestellt hatte? Jedenfalls nicht sehr gastfreundlich. Nur auf einem Rapsschlag ästen ca. 900 Gänse, darunter allerdings über 500 Waldsaatgänse. Wald- und Tundrasaatgänse galten noch bis vor kurzem als zwei Unterarten der Saatgans.

Grau- und Waldsaatgänse im Grünland bei Voßberg
Grau- und Waldsaatgänse im Grünland bei Voßberg

Inzwischen haben beide Formen sogar Artstatus. Feldornithologisch lassen sich beide unter günstigen Bedingungen mit ein bisschen Erfahrung recht gut unterscheiden. Dabei ist die Waldsaatgans die wesentlich seltenere Art und hat in M-V hier im östlichen Vorpommern ihren herbstlichen Rastschwerpunkt. Selbst Ansammlungen in dreistelliger Höhe sind andernorts schon etwas Besonderes. Die Vögel werden in Russland intensiv bejagt, leider auch noch während des Frühjahrszuges, wenn die Tiere verpaart in die Brutgebiete ziehen. Für Neuverpaarungen reicht das kleine Zeitfenster des nordischen Sommers nicht aus, so dass die Reproduktion dann ausfällt, was den Bestand weiter schwächt. 

Interessant ist bei solchen Zählungen ja auch immer der „Beifang“. Die Landschaft beherbergt auch in der kälteren Jahreszeit ein interessantes Arteninventar. Raubwürger aus Skandinavien hatten wieder ihre Winterquartiere bezogen, z. B. in den ausgedehnten Grünländereien bei Pudagla, Dewichow und im Thurbruch. Teilweise waren einzelne Kranichpaare erneut in ihren Revieren verblieben, im Thurbruch sogar vier Stück. 

Einer heißt nicht Gans- Silberreiher auf Wühlmausjagd bei Voßberg
Einer heißt nicht Gans- Silberreiher auf Wühlmausjagd bei Voßberg

Einige Zugvögel waren aber spät dran. So konnte auf der Strecke noch eine Bachstelze beobachtet werden, dazu zwei Feldlerchen, ziehend nach Südwesten, nicht sichtbar, aber hörbar am typischen Flugruf. Auch einige Rotmilane waren noch unterwegs in die spanischen Winterquartiere, zwei bei Dewichow und gleich drei bei Liepe. Wo die Wiesen feucht sind, rasten auch noch Kiebitztrupps, z. B. bei Pudagla und am Peenestrom bei Zecherin. Dazwischen flötete plötzlich ein einzelner Goldregenpfeifer seinen melancholischen Ruf, passend zur Wetterstimmung.

 

Die Strecke war absolviert, der Tag noch zu jung zum Nachhause fahren, also schaute ich fakultativ in den Usedomer Winkel. Diese Region zwischen Peenestrom und Stettiner Haff hatte sich in den letzten Wochen als ein Zentrum der hiesigen Gänserast herausgestellt. Und tatsächlich, auf einem großen Zuckerrübenschlag bei Voßberg hielten tausende Gänse Nachlese. Besonders beeindruckend waren ca. 1700 Weißwangengänse und sogar 2300 Waldsaatgänse. Diese können mit ihrem großen, kräftigen orangegelbschwarzen Schnabel die Rübenreste gut schnabelgerecht zerpflücken. Auch in dem großen Schwemmlandkomplex bei Zecherin rasteten noch knapp 1000 Gänse, überwiegend Graugänse. Dort konnte noch eine polnische Graugans mit einem gelben Farbring abgelesen werden.

Vermutlicher Hybrid zwischen Bläss- und Schneegans
Vermutlicher Hybrid zwischen Bläss- und Schneegans

Eine Gans konnte nicht genau bestimmt werden. Sie ist auf einem den beigefügten Fotos zu sehen. Es ein Hybride, vermutlich zwischen Blässgans und Schneegans. Aber wer genau dabei seine Flügel im Spiel hatte, wird sich wohl nicht klären lassen.

  

Der Sonntag brachte keine großen Überraschungen mehr. Letzte Zählstrecke des Wochenendes war der riesige Grünlandkomplex des Thurbruch. Nachdem die letzten Gänse vom Schlafplatz am Kachliner See abgeflogen waren, fanden sich die meisten zwischen Zirchow und Ulrichshorst zur Nahrungssuche im Grünland ein, vor allem Blässgänse. Eine besondere Beobachtung stellten zwei Schneeammern dar, die auf der Betonplattenstraße nach Sämereien pickten.

Kurzschnabelgans / copyright: Ingo Ludwichowski
Kurzschnabelgans / copyright: Ingo Ludwichowski

Nicht sensationell, aber doch selten war die Beobachtung von drei Kurzschnabelgänsen von Kathrin Räsch und Wolfgang Nehls auf dem Gnitz bei Neuendorf. Die nächsten Brutplätze dieser Art liegen auf Island und Spitzbergen. Von dort gelangen alljährlich einzelne Kurzschnabelgänse während ihres Zuges in die holländischen Winterquartiere entlang der westeuropäischen Küsten nach M-V.

Gesamtergebnisse der Zählung aus den Usedomer Gebieten:

Graugans 3140
Blässgans 5236
Saatgans 3198
- davon Tundrasaatgans 153
- davon Waldsaatgans 3045
Weißwangengans 4236
Kurzschnabelgans 3

Bericht und Fotos (sofern nicht anders bezeichnet): Bernd Schirmeister

 

26.11.2021