Mittwinter - Wasservogelzählung (OZ vom 14.01.2013)

Visier geschärft: Mehr als eine „Enten-Inventur“

Knapp 20 Usedomer Ornithologen beteiligten sich am Wochenende an der internationalen Wasservogelzählung.

 

Wolgast (OZ) - Waren noch am ersten Neujahrs-Wochenende deutschlandweit noch Naturfreunde gefragt, ihre gefiederten Gäste im eigenen Garten oder am Futterhäuschen zu zählen, schulterten am Wochenende im gesamten europäischen Raum die ehrenamtlichen Experten und Profis ihr Stativ samt Fernrohr. Mit dabei auch Thomas Eschenauer von der Usedomer Nabu-Fachgruppe. Er war einer von knapp 20 Insel-Ornithologen, die sich ehrenamtlich an festgelegten Standorten der Usedomer Außenküste, des Peenestroms und an repräsentativen Binnengewässern an der internationalen Wasservogelzählung beteiligten.

Wasservogelarten im Fokus: Naturschutzbeauftragter Thomas Eschenauer zählte an unterschiedlichen Standorten des Peenestroms. Foto: Stefan Brümmer
Wasservogelarten im Fokus: Naturschutzbeauftragter Thomas Eschenauer zählte an unterschiedlichen Standorten des Peenestroms. Foto: Stefan Brümmer

Insbesondere die am Sonnabend und Sonntag durchgeführte Mittwinterzählung ist mehr als etwa nur eine „Enten-Inventur“ unter freiem Himmel. Handelt es sich doch um das älteste Monitoring dieser Art in Deutschland. „Diese Zählung ist eingebunden in ein nahezu weltumspannendes Netz an Zählgebieten“, erläutert der Naturschutzbeauftragte im Landkreis Vorpommern-Greifswald.

Studien dieser Art erfassen die Vögel regelmäßig, und sie können Fragen wie etwa diese beantworten: Wie viele und welche Wasservögel rasten und überwintern im Gebiet? Welche Gewässer sind als Rastgebiete von überragender Bedeutung? Welche Brutergebnisse beispielsweise bei Sing- und Zwergschwänen oder Bläss- und Saatgänsen wurden erreicht? Welches Zugverhalten zeigen die Vögel?

Eschenauer hatte am Wochenende seinen Posten am Peenestrom bezogen. Von der Wolgaster Brücke bis Lassan reichte das Revier. Immer mit dabei: Stativ mit aufgesetztem Spektiv, Fernglas, Zähl-Uhr und Schreibutensilien.

„Viel Bewegung ist eigentlich immer am Stadt- und am Südhafen zu verzeichnen“, weiß der Experte aus Erfahrung. Denn der Getreideumschlag lockt die hungrigen Enten an. Ins Wasser gefallenes Korn wiederum zieht verschiedene Fischarten in den Stadthafen, und diese wiederum werden von den exzellenten Tauchern, wie Kormorane und Gänsesäger, verfolgt. Über letztgenannten kreist übrigens gar nicht so selten der Seeadler: Fast in der Stadt kann man es also beobachten — das ewige Spiel vom Fressen und gefressen werden.

Allerdings zeigte sich der 50-Jährige zunächst über die Anzahl der Wasservögel enttäuscht. „Im Vergleich zu den beiden Vorjahren ist heute ausgesprochen wenig zu sehen“, so die Anfangsbilanz des Vogelkenners. Einige Kormorane, Silbermöwen, Stockenten, Blässrallen, dazu wenige Gänsesäger und Grauhreiher — das war eher mau. Aber dann hellte sich die Mine des Ornithologen doch noch auf — ein seltener Zwergsäger kam ins Blickfeld seiner Optik. Dann flog ein Trupp Singschwäne vorbei, und auch die auf den Wellen hüpfenden Schellenten wurden aufmerksam registriert. Na geht doch!

Thomas Eschenauer ist Wahl-Wolgaster. Was Naturräume betrifft, kennt er sich aus in ganz Deutschland und darüber hinaus. Allerdings schätzt er die Region Vorpommern und Teile des angrenzenden Mecklenburg ganz besonders. „Die Vielfalt an Fauna, Flora und Landschaften, die unsere Region zu bieten hat, ist mehr als überdurchschnittlich“, schwärmt der Mann.

Ihre flugunfähigen Jungen stürzen sich mutig aus Baumhöhlen herab: die Schellente. Foto: Lothar Brümmer
Ihre flugunfähigen Jungen stürzen sich mutig aus Baumhöhlen herab: die Schellente. Foto: Lothar Brümmer

Am gestrigen Sonntag hatte sich die Liste dann mit weiteren gesichteten Vogelarten gefüllt — darunter 900 Stockenten, 400 Graugänse, aber nur 80 Kormorane. Seit etwa drei Jahren würde der Bestand der Kormorane sinken, sagte der Ornithologe und verweist auf die harten Winter der jüngsten Vergangenheit als eine der Ursachen.

Insgesamt zeigte sich Thomas Eschenauer aber eher enttäuscht über seine Zählergebnisse. Durch den auflandigen Wind hätten sich viele Wasservögel in ruhigere Buchten wie etwa die Krumminer Wiek zurückgezogen, so seine Begründung.

Die gesammelten Daten werden zunächst zum regionalen Koordinator weiter geleitet, der wiederum übergibt sie dem zuständigen Mitarbeiter des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie (Lung). Am Ende erreicht ein umfangreiches Datenmaterial die internationalen Stellen, wo es wissenschaftlich ausgewertet wird und zu wertvollen Schlussfolgerungen führt.

Lässt seine melancholische Stimme oft hören: der Singschwan. Foto: Lothar Brümmer
Lässt seine melancholische Stimme oft hören: der Singschwan. Foto: Lothar Brümmer

Hintergrund

Millionen von Wasservögeln ziehen jedes Jahr weltweit zur Überbrückung der kalten Jahreszeit in Winterquartiere. Dabei nutzen sie in Mittel- und Westeuropa Gewässer aller Art und Größe zur Rast und Nahrungsaufnahme. Hunderttausende verbringen aber auch den Winter auf Fließ- und Stillgewässern in Deutschland zwischen Boddenküste und Bodensee. Diese mittels Wasservogelzählungen zu erfassen ist eine Aufgabe, die von ornithologischen Fachverbänden ins Leben gerufen wurde.

Die meisten Zählungen führen ehrenamtliche Gebietsbetreuer nach einheitlichen Methodenstandards durch. Sie sind in der Regel in regionalen oder überregionalen Naturschutzverbänden wie Nabu oder Bund organisiert.


Stefan Brümmer